Kann man von „dem Deutschen“ sprechen und damit eine ganze Nation auf Vorurteile reduzieren? Ich werde es in diesem Artikel einmal tun und bitte es mir zu verzeihen. Ich meine mit „dem Deutschen“ nicht jedes Individuum, sondern die breite Masse unserer Gesellschaft. – Der Deutsche ist eigentlich nicht anders als andere Europäer. Er hat seine Eigenarten, aber er liebt vor allem seinen Wohlstand. Er sieht diesen als selbstverständlich an und eine Energiekrise kann er nicht verstehen. Gas, Öl und Strom müssen immer ausreichend und billig zur Verfügung stehen. Schließlich will man, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt, GZSZ gucken und später am Abend, bei DSDS, über die Leute lachen, die von Dieter Bohlen fertig gemacht werden. Das ist das Leben, das dem Deutschen gefällt. Die Wirtschaft muss brummen, das Geld fließen und der nächste Urlaub am Ballermann sicher sein. Eine Selbstverständlichkeit, die man sich verdient hat, so meint man. Das anderswo auf der Welt Menschen hungern, und für einen Schluck Wasser kilometerweit laufen müssen, ist traurig. Da hat der Deutsche auch Mitleid, aber mit diesen Menschen teilen würde er nicht. Nur selber fressen macht fett.
10% bis 15% seines Einkommens, viele so gar weniger, hat man bisher für Energie bezahlt. Und jetzt sind es drei bis viermal so viel. Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugehen, denkt der Deutsche und wittert Betrug. Schließlich hat man ein Recht auf Wohlstand. Da ist der Deutsche kompromisslos. Flüsse können austrocknen, die Erde zum Treibhaus werden, aber wenn der Wohlstand schmilzt, dann ist Schluss mit lustig. Dann geht es auf die Straße und es wird sich empört. Und danach…? Ja, was danach?
Ursachen der Energiekrise
Der Deutsche mag es simpel, aber leider ist die Welt kompliziert. Bereits vor dem Krieg, schon im Jahr 2021, sind die Energiekosten gestiegen. Dieses hatte viele Gründe. Einen davon muss man akzeptieren, ob man will oder nicht: Die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. Seit Ende der 1960er Jahre verbrauchen wir mehr als unserer Planet regenerieren kann. Wir fressen unsere Ressourcen mit einem riesigen Appetit auf. Werden die Ressourcen weniger, dann werden diese teurer. Das regelt der Markt. Was knapp ist, hat einen hohen Preis. Dass Energie jetzt knapp geworden ist, ist nicht allein Putins Schuld. Putin ist nicht dafür verantwortlich, dass die meisten Atomkraftwerke in Frankreich nicht am Netz sind. Er ist auch nicht dafür verantwortlich, dass wir die sogenannten erneuerbaren Energien nicht speichern und effizient verteilen können. Es war die Politik des 21. Jahrhunderts, die in Europa versagt und nicht die Voraussetzungen geschaffen hat, die wir heute bräuchten. Das ist die unerfreuliche Wahrheit und bezahlen muss für dieses Versagen nun der Deutsche. Das der Deutsche darüber „not amused“ ist, das ist verständlich. Aber hat er eine Wahl als die Zähne zusammenzubeißen und seinen Wohlstand einzuschränken? Die Regierungs-Opposition salbt die Seele des Deutschen und stachelt ihn auf. Alles ließe sich einfach lösen, würde die Regierung nur handeln. Der Deutsche hört das gerne, denn Empören mag er. Und so zieht er los, in den Kampf um seinen verdienten Wohlstand.
Putins Krieg
Inzwischen ist der Krieg in der Ukraine ein halbes Jahr alt. Putin hat nicht gewonnen und ist weit von allen seinen Zielen entfernt. Aufgeben wird er aber nicht. Und aufgeben wird auch die Ukraine nicht. Keine der Kriegsparteien ist kriegsmüde, aber der Deutsche ist es. Er will, dass der Krieg sofort aufhört und er sein Gas wieder zum Billigpreis aus Russland bekommt. Eigentlich, seinen wir ehrlich, sind dem Deutschen der Krieg, die Ukraine und Russland egal. Sollen sie alle machen, was sie wollen, solange es billiges Gas gibt. Und wenn es das nicht gibt, dann muss was passieren! Nur was muss passieren? – Wenn man ehrlich ist, lassen wir den Sarkasmus mit dem Deutschen nun einmal beiseite, dann gibt es keine Lösung für das Problem. Vermeintlich kluge köpfe der AfD und der Linken, sowie einiger anderer Parteien, wollen mit Putin verhandeln. Diese Idee ist einfach Unsinn. Man kann mit einem Despoten nicht verhandeln. Putin würde zu keinem Vertrag stehen. Und was will man Putin anbieten? Die Ukraine damit wir billiges Gas bekommen? Nach der Ukraine dann die baltischen Staaten? Und nach den baltischen Staaten dann Polen? Das kann niemand ernsthaft wollen, der halbwegs bei Verstand ist. Die Ukraine verteidigt mit ihrem Blut die Werte Europas. Das Politiker*innen in unseren Parlamenten und Parteien sitzen, die diese Werte für billiges Gas verkaufen wollen, ist eine Schande.
Der Krieg schmerzt mich persönlich auch und, könnte ich zaubern, würde ich ihn sofort beenden. Nicht des billigen Gases wegen, sondern des unendlichen Leids, das er über die Menschen bringt. Die Realität ist aber die, dass nur Putin diesen Krieg stoppen kann und dass Putin ihn nicht stoppen will. Wir müssen diese bittere Wahrheit, die eigentlich nicht mehr im 21. Jahrhundert vorkommen sollte, herunterwürgen, wie eine giftige Kröte, gleich ob sie uns gefällt oder nicht. Und der einzige Weg vorwärts ist der, die Ukraine gegen Putin zu unterstützen. Die Werte Europas sind nicht „billiges Gas und Wohlstand um jeden Preis“. Wer das nicht begreift, dem kann nicht mehr geholfen werden.
Gierige Energiekonzerne
Putins Krieg allein ist nicht der Grund für die derzeitigen Energiekosten. Gas und Strom sind knapp, aber die Preise, die derzeit dafür auf dem Markt gehandelt werden, haben nichts mehr mit der Erzeugung selbst zu tun. Es sind reine Psychologie-Preise, die sich auf einem Markt bilden, der eigentlich kein Markt ist. Energie wurde privatisiert. Wir haben auch die letzte Stromleitung und Gasröhre and die freie Wirtschaft verkauft. Die Gasspeicher verkaufte man sogar an Gazprom, also indirekt an Putin. Das nennt sich Neoliberalismus. Die Unternehmen sind davon reich geworden, die Menschen hingegen nicht. Das ist das Wesen des Neoliberalismus. Wenige Großkonzerne, die das Angebot bereitstellen, sind kein Markt im klassischen Sinne. Es ist ein Oligopol, das zum Monopol neigt. Doch die Politik hat nicht gehandelt, sondern hat diese Systeme von Intransparenz und Lobbyismus gefördert. Was für die Politik dabei abgefallen ist, ist nicht Thema dieses Artikels und jeder mag sich seinen Teil dazu denken.
Das einfach zu verstehende Fazit ist: Wir müssen aus der Abhängigkeit von Russland heraus und den Einkauf von Gas und Öl breit streuen. Und wir müssen wieder Herr über unsere Energie-Infrastruktur werden und diese für erneuerbare Energien ausbauen. Genau das tut die Regierung. Die Opposition stellt es anders da, aber die Regierung tut das richtige. Damit meine ich nicht, dass die Regierung fehlerfrei ist und nicht mehr tun könnte, aber die Richtung ist die richtige. Anders als es in den Regierungen zuvor der Fall war. Nun zu verlangen, dass die Fehler von Jahrzehnten in wenigen Monaten behoben werden, ist schnöder Populismus und nicht mehr. Aber Populismus war schon oftmals die Sprache der Opposition.
Ist der Deutsche nun am Limit?
Wer seine Energiekosten nicht mehr zahlen kann, der ist natürlich am Limit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Daran besteht kein Zweifel. Die Tafeln sind besucht wie nie zuvor und Menschen haben Angst vor eine Winter in kalten Wohnungen. Die Frage ist vielmehr, wohin das führt. Wir der Deutsche die Zähne zusammenbeißen oder wird er einen Aufstand machen? Putin setzt auf letzteres!
Bevor ich diese Fragestellung näher betrachte, komme ich nicht umhin festzustellen, dass es dem Deutschen nicht allein so schlecht geht. In Großbritannien ist die Inflation höher und der Wohlstandsverlust größer. Und in vielen anderen Ländern der EU ist es nicht anders. Kaum einer hat das Wohlstandsniveau, das wir haben. Wäre es da vermessen zu sagen, dass wir mutmaßlich auch mit weniger zurecht kämen? Betrachtet man es noch detaillierter ist ein generelles „Weniger“ gar nicht unser Problem. Unser Problem ist die Verteilung unseres Wohlstandes. Ein „Weniger“ für wenige könnte für einen Erhalt eines Mindestwohlstandes für viele sorgen. Aber da sind wir wieder bei einem Grundproblem des Deutschen: Wir teilen nicht gern und fressen am liebsten selbst und so viel wir können!
Sorge macht mir das politische Klima mehr als das Limit des Deutschen. Die Unvernunft war nie größer als in diesen Zeiten. Es wurden nie mehr Fakenews verbreitet und russische Propaganda wird ungefiltert von Politiker*innen auf Social Media und einschlägigen Medienhäusern geteilt. Das ist ein gefährlicher Trend. Der Faschismus ist immer der Profiteur der Krise. Und die heimlichen Faschisten rufen lauter und bringen sich in Position. Die demokratischen Kräfte in unserem Land wären gut beraten die Lehren aus unserer Geschichte nicht zu vergessen. Golo Mann, der große Kenner deutscher Geschichte, formulierte es in seinem Werk sehr richtig: „Kann der Faschismus wiederkommen? Das ist die falsche Frage. Die richtige Frage ist, ob wir wollen, dass er wiederkommt?“ Und einige scheinen das in der Tat zu wollen. Diese „Einigen“ werden immer mehr. Und die tun als wäre eine rot-grüne Ampel unser Untergang in den Sozialismus. Kampagnen von Desinformation, Populismus, Hass und Hetze, die unser Demokratie gefährlich werden können.
Mein Fazit: Es kommen harte Zeiten auf den Deutschen zu, aber am Limit ist er nicht. Doch besteht die Gefahr, dass er dem Faschismus erneut erliegt, der ihm Honig ums Maul schmiert, der so süß ist, dass er alles andere ausblendet. Wenn die Krise groß genug wird, dann wittern die Aasgeier vermutlich ihre Chance. Aber derzeit sieht es eigentlich danach aus, dass die Krise gar nicht so groß wird, wie viele befürchten. Das wäre natürlich eine Enttäuschung für die Aasgeier und man schürt daher schon jetzt gewaltig.