Zu dem Zeitpunkt, wo ich diesen Artikel schreibe, hat der demokratische Kandidat Joe Biden 253 Wahlmänner hinter sich vereint, und Donald Trump 213. In den noch ausstehenden Bundesstaaten liegt Joe Biden teilweise leicht vorne. Man mag denken, dass die Wahl entschieden ist und Donald Trump abgewählt. Aber das sollte man nicht zu früh denken. Wenn wir auf die letzten vier Jahre zurückblicken, dann hat man Donald Trump immer zu früh abgeschrieben. Doch am ende war Donald Trump weiter im Amt, am Ende hatte Donald Trump sich durchgesetzt und am Ende hatten die Demokraten verloren. Wird es dieses Mal anders sein? Wir wollen das hoffen! Aber das jetzt leichtgläubig, naiv und als selbstverständlich zu glauben, sich entsprechend zurückzulehnen und alles weitere einfach von allein geschehen zu lassen, wäre mehr als nur unvorsichtig. Es wäre grob fahrlässig und rächt sich vielleicht bitter. Die Demokraten sind gut daran beraten sehr wachsam zu bleiben.
Anstand, Moral und der Respekt vor der Demokratie sind Donald Trump fern. Vernunft zählt hier nicht. Es geht nur um das Gewinnen. Es geht darum an der Macht zu bleiben. Dafür sind alle Mittel recht. Es gibt keine Grenzen, die Anstand und Moral setzen. Die Vergangenheit hat das sehr oft gezeigt. Donald Trump weiß genau, wie er Menschen manipuliert, wie er mit Betrug zum Ziel kommt und wie er etwas so darstellt, wie es gar nicht ist. Fast die Hälfte der Amerikaner glauben ihm und haben ihn auch gewählt. Und auch die republikanische Partei hat die Grundsätze des demokratischen Miteinander inzwischen weitgehend verlassen. Die Anti-Demokraten spielen nach ihren eigenen Regeln und ohne jede Vernunft.
Das amerikanische Wahlsystem
Die USA sind die älteste fortbestehende Demokratie der Welt. Das ist eine Tatsache. Aufgrund dieser Tatsache muss in dieser Demokratie vieles funktionieren, damit sie so alt werden konnte. Andererseits sagt die Tatsache des Alters ebenso aus, dass es eine nicht mehr zeitgemäße Demokratie ist. Letzteres mag so sein oder auch nicht. Eine Diskussion darüber ist für den Moment nicht hilfreich, den die Regeln sind jetzt die, die sie eben sind.
Donald Trump hat im Vorfeld der Wahlen schon sehr früh seine Strategie eingeschlagen. Diese Strategie instrumentalisiert die Briefwahl als betrügerisch und korrupt. Damit hatte er seine Wähler mobilisiert und gleichzeitig für die Niederlage vorbereitet. Nunmehr sagen alle Gouverneure, dass es keine Unregelmäßigkeiten gibt und die Briefwahl korrekt abgelaufen ist. Doch Trump sagt das Gegenteil. Beweise für einen Betrug oder Unregelmäßigkeiten im großen Stil, insbesondere zu Trumps Nachteil, gibt es jedoch nicht. Mutmaßlich ist auch das gar nicht der Punkt, sondern Trump hat eine ganz andere Strategie.
Trumps andere Strategie könnte in einem Tweet sichtbar sein, in dem er schreibt, dass die Gerichtsklagen gerade erst beginnen. Ob die Klagen etwas bringen, oder überhaupt irgendeine Aussicht auf Erfolg haben, ist fraglich. Es ist sehr fraglich, aber keineswegs ausgeschlossen. Vielleicht ist das Ziel dieser Strategie aber ein ganz anderes: Donald Trump will ein Ergebnis der Wahl so lange aufhalten bis am 8. Dezember die Wahlmänner nicht zur Wahl zusammen kommen können. Schafft er das, dann muss im Januar das Repräsentantenhaus einen Präsidenten wählen. Allerdings nicht mit der Mehrheit aller Mitglieder des Hauses, sondern mit jeweils einer Stimme pro Bundestaat. Hier haben die Republikaner dann eine deutliche Mehrheit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Republikaner die demokratischen Grundsätze negieren und dann Trump erneut zum Präsidenten wählen, gleich den Wahlergebnissen.
Ein anderes Mittel wäre der Supreme Court, der zu Gunsten von Donald Trump umgebaut wurde. Eine weitere nicht auszuschließende Möglichkeit, bei einem sehr knappen Ausgang von zum Beispiel 270 zu 268 Wahlmännern, wären Abweichler bei den Wahlen am 8. Dezember. Das hat noch nie ein Präsident angenommen, weil es als undemokratisch gilt, aber es wäre rechtens und Donald Trump sind demokratische Grundsätze völlig egal. Es ist also keineswegs zu Ende mit der Wahl des nächsten Präsidenten, sondern es fängt gerade erst an.
Die Vernunft hat verloren
Wenn wir eine Sache zu dieser Wahl mit Sicherheit sagen können, dann ist es die Tatsache, dass die Vernunft weiter in Politik und Gesellschaft verloren hat. Keiner hat diese Vernunft so gut begründet wie Thomas Paine, einer der amerikanischen Gründungsväter. In einer Schrift “Common Sense” führt er eine idealtypische Abhandlung hierzu aus. “Idealtypisch” ist nie zu erreichen und muss auch nicht das Ziel sein. Aber der Ist-Zustand der amerikanischen Politik war der Vernunft noch nie ferner.
Wir hören derzeit von allen Seiten, dass Trumps festhalten an der Macht eine Verfassungskrise auslösen würde. Ein Risiko, dass sicherlich niemand eingehend will. Das sagt man so, weil man davon ausgeht, dass am Ende alle vernünftig sind. Diese Sichtweise ist meines Erachtens naiv und falsch. Es ist niemand vernünftig. Es geht um die Macht. Jedes Mittel ist recht. Demokratie, wie man sie bis dato gelebt hat, spielt keine Rolle. Wenn am Ende das Land brennt und Bürgerkrieg herrscht, dann ist auch das ein Weg. Für Donald Trump und seine Familie gibt es keine Grenzen. Und er hat viele Schlüsselpositionen so besetzt, dass auch hier Personen sitzen, die ihm nahe stehen und ihm bedingungslos folgen. Gleich ob es undemokratisch, illegal oder ohne jede Moral ist.
Wir können daher nur besorgt über den Atlantik blicken. Das Schauspiel dort hat gerade erst begonnen. Es ist mit unseren Maßstäben, die sich zwar in den letzten Jahren auch verschoben haben, nicht zu verstehen. Die USA sind anders. Sie sind ein gespaltenes Land mit Ideologien der Extreme. Und hier ist auch Joe Biden nicht der Kandidat der Vernunft. Er steht für die Politik von gestern. Die Politik, die viele Amerikaner arm, ohne Job und obdachlos gemacht hat. Er ist nicht der Heilsbringer, sondern ein alter Mann, dessen Zeit eigentlich schon vorbei ist. In diesem Sinne hatten die Amerikaner gar keine vernünftige Wahl. Es war eine Wahl zwischen Stillstand und Anti-Demokratie. Das eine nur wenig besser als das andere.
Fazit
Die Wahl hat die USA nicht nach vorne gebracht. Die Wahl hat nichts bewirkt, sondern nur die Probleme der Zeit noch deutlicher sichtbar gemacht. Joe Biden ist sicher der wünschenswertere Präsident, was gegen Trump gesehen nun auch nicht schwierig ist. Er ist aber keineswegs die Lösung. Sollte er wirklich Präsident werden, (Ich glaube das erst, wenn er im Weißen Haus sitzt und Donald Trump irgendwo vor Gericht steht!), dann wird er es nicht schaffen, die USA in die Zukunft zu bringen. Dazu braucht es mehr. Es braucht einen Generationenwechsel. Altes Establishment, wie Nancy Pelosi & Co., muss auf beiden Seiten, Demokraten wie Republikaner, in den Parteien, im Senat und im Repräsentantenhaus, endlich abtreten. Die nächste Generation muss übernehmen. Aber diese Vernunft funktioniert nicht, denn die Macht schmeckt süß und niemand gibt sie freiwillig her. Dennoch hoffe ich, sollte es in der Amtszeit so kommen, auf Kamala Harris. Vielleicht kann sie einen Wandel anstoßen, der für ein neues Amerika und einen wirkliche Modernisierung des Landes steht.