Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel kamen, im buchstäblichsten Sinne des Wortes, aus heiterem Himmel. Es traf alle unvorbereitet, insbesondere im Umfang und der schwere des Geschehens. Die Welt ist zurecht im Schock und die Angriffe der Hamas sind abscheulich und in jeder Form zu verurteilen. Dennoch können die Angriffe per se nicht jede Form des Rückschlags Israels rechtfertigen noch dem gesamten Palästinensischen Volk zugerechnet werden. Es ist, auch wenn das vor dem Hintergrund der schrecklichen Bilder und der unverzeihlichen Taten schwer fällt, eine differenzierte Betrachtung, wie in jedem Konflikt der Welt, notwendig.
Wenn ich differenzierte Betrachtung sage, dann meine ich damit nicht, dass man darüber diskutieren soll, ob man an der Seite Israels steht oder nicht und die Angriffe der Hamas Terrorismus bzw. Kriegsverbrechen sind. Dieses steht außer jeder Frage. Wer redlicher Demokrat ist, der steht an der Seite jedes rechtswidrig angegriffenen Landes und verurteilt barbarische Verbrechen an Kindern, Frauen und der Zivilbevölkerung. Ebenso Kriegsverbrechen an Soldaten, Terrorismus und jeden begangenen inhumanen Akt. Dieses kann nicht differenziert werden, sondern muss absolut gelten.
Zu differenzieren sind aber die Äußerungen und Reaktionen derjenigen Personen weltweit, die sich zum Geschehen zu Wort melden, zu Handlungen aufrufen oder selbst Beteiligte im Terror sind. Ihr Anliegen kann ehrlich und aufrecht sein, aber das Anliegen kann leider auch noch andere Ziele verfolgen, als nur die richtige und nicht in Frage zu stellende Verurteilung des Terrors. Hiermit will ich mich, auch wenn dieses unpopulär und vermutlich zu viel Kritik und Shitstorm führen wird, in diesem Blogbeitrag beschäftigen.
Der Nahost-Konflikt in der Historie
Die Historie des Konflikts kann man nicht einmal in einem Buch gänzlich erschöpfen, geschweige denn in einem Blog-Beitrag. Der Konflikt ist ein Jahrhundert lang zu seiner jetzigen Form gewachsen und hat sehr feste Wurzeln, sowohl auf Seiten Israels als auch auf Seiten der Palästinenser. Beide Seiten haben über die Jahre versucht Lösungen zu finden und Frieden zu schaffen. Es ist nie gelungen. Darüber zu streiten, wer dabei mehr und wer weniger Schuld war, ist nicht zielführend. Noch weniger zielführend ist es, aufgrund der Handlungen einer Seite, die Handlungen der anderen Seite zu rechtfertigen und so Spiralen der Gewalt zu legitimieren. Die Historie ist, das ist unbestritten richtig, ein ungleicher Kampf gewesen, in welchem mehr Palästinenser als Israelis gestorben sind. Darunter, auf beiden Seiten, eine Vielzahl an Zivilisten, insbesondere auch Frauen und Kinder. Dieses allein ist aber kein Argument der einen Seite mehr Schuld als der anderen zu geben, oder Terrorismus und Gewalt zu legitimieren. Das Fazit ist lediglich, dass es ein sehr komplexer, historisch gewachsener Konflikt ist, an dem beide Seiten Verantwortung tragen.
Teil der Wahrheit ist auch, dass der Konflikt über die Jahrzehnte sehr unterschiedliche Phasen durchgemacht hat, in denen sich die beteiligten politischen Akteure verändert haben. Dieses trifft insbesondere auf die Entwicklung im 21ten Jahrhundert zu. Die Hamas heute, ist nicht mehr die Hamas vor 20 Jahren. Ob die Hamas vor 20 Jahren eine Partei darstellte, die wählbar war und Teil einer friedlichen demokratischen Entwicklung in Palästina sein konnte, sei dahingestellt. Jedenfalls war die damalige Hamas eine andere als die heutige. Auch Israel hat sich verändert, insbesondere nach der Ermordung Jitzchak Rabins 1995. Es gilt auch für Israel, dass sie sich vorwerfen lassen müssen, dass dort konservative politische Kräfte über die Jahre Einfluss genommen haben, deren Ziel kein Frieden und kein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den Palästinensern war. Ebenso ist der Vorwurf gerechtfertigt, dass es auch fragliche Reaktionen und Aktionen durch die israelische Seite gab, deren Verhältnismäßigkeit oder Legalität angezweifelt werden darf.
Hinzu kommt ein Eingreifen in den Konflikt von Außen. Es ist zuerst die USA zu nennen, die sich in verschiedener Weise über die letzten 80 Jahre im Nah-Ost-Konflikt abgearbeitet hat. Die Haltung der USA hat sich mit der Regierungszeit von George W. Bush Anfang des 21Jahrhunderts sehr verändert und, so meine persönliche Meinung, nicht zu Frieden und einem gleichberechtigten Miteinander beigetragen. Neben den USA ist der Iran ein weiterer Spieler hinter den Kulissen. Man verfolgt anti-israelische und anti-amerikanische Ziele. Dieses tut das Mullah-Regime im Iran, welches keineswegs für die gesamte Bevölkerung des Irans steht. Gerade seit dem Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Jahr, steht das Mullah-Regime weniger denn je für den Iran, insbesondere nicht für deren Jugend. Zur Verfolgung der Ziele dieses Regimes werden die Hamas, die Hisbollah im Libanon und andere Gruppierungen unterstützt. Last but not least, greifen auch zahlreiche andere Staaten der ganzen Welt, insbesondere der arabischen Welt und Organisationen, wie zum Beispiel die „Moslem Brüderschaft“ in das Geschehen ein. Manchmal offen, meistens verdeckt, vor allem mit viel Geld. Und Russland und China sind natürlich auch noch da, die beide über eine Destabilisierung in der Region nicht unglücklich sind.
Es geht also in dem Konflikt um mehr als nur um Israel und Palästina. Es geht um Islam und Judentum, um das Judentum schlechthin und damit auch um Antisemitismus, aber auch um geopolitisches Macht-Kalkül der globalen Player in der Region und der Welt.
Alles das äußert sich in Gewalt, die instrumentalisierte, meistens junge wütende Araber, vermutlich sind alle Hamas-Mitglieder bzw. deren Kämpfer gar keine Palästinenser, ausüben. Eine Rechtfertigung für Terrorismus ist das nicht, denn Terrorismus kann man niemals rechtfertigen. Das Terrorismus nicht zu rechtfertigen ist, bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass man nicht analysieren sollte, warum dieser Terrorismus begangen wird, wodurch die Terroristen radikalisiert wurden und bei welchen Beteiligten welche Fehler gemacht wurden, dass es dazu gekommen ist. Dieses muss man sehr wohl kritisch betrachten und man darf es auch kritisch betrachten, ohne dass dadurch Terrorismus differenziert oder gar gerechtfertigt wird.
Instrumentalisierung
Wenn man jemanden unterstellt, dass er oder sie den Terrorismus in Israel zu eigenen Zwecken und anderen Zielen instrumentalisiert oder verfälscht, dann ist die Empörung groß. Dennoch muss diese Fragstellung behandelt werden und die Publizisten, die sich hierzu äußern, müssen sich die Fragestellung gefallen lassen.
Das der Konflikt und der Terrorismus auf Ebene von Staaten durchaus als Mittel zu anderen Zielen eingesetzt wird, hatte ich schon im letzten Absatz angesprochen. Dieses möchte ich nicht vertiefen, sondern mich zu den nicht-staatlichen Akteuren auf unteren Ebenen begeben. Hier gibt es Fragestellungen, die einer kritischen Betrachtung wert sind.
Wir sehen in Deutschland, aber nicht nur in Deutschland allein, in einigen Städten Sympathisanten von Palästina, die dem Terrorismus gegen Israel feiern. Dieses muss eindeutig verurteilt werden und jeder, der so etwas tut, steht gegen die Werte und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Diese Haltung hierzu ist ohne Alternativen. Gleichermaßen ist es aber falsch diese Sympathisanten so darzustellen bzw. seine berechtigte Empörung so zu formulieren, dass ein Zusammenhang zu allen Flüchtlingen und Bürgen mit Abstammung aus der arabisch-islamischen Welt suggeriert wird. Das ist inhaltlich falsch, es ist Hetze, es schürt Vorurteile und Hass in der Bevölkerung. Wer das so tut, der instrumentalisiert den Terror zu einer eigenen politischen Agenda. Leider sehen wir das in den Social-Media-Portalen von verschiedenen rechtspopulistischen Personen. Solche Posts sind ebenso deutlich zu verurteilen, wie der Terrorismus in Israel.
Ferner ist in den Social-Media-Portalen zu sehen, dass sich die gängigen rechtspopulistischen Akteure und Politiker vereint an die Seite Israels stellen und dabei auch den Antisemitismus verurteilen. Dieses ist natürlich richtig und steht inhaltlich außer jeder Frage. Jedoch wird hier eine Doppelmoral betrieben, denn die gleichen Akteure, die hier den Antisemitismus arabischstämmiger Menschen aufs schärfste verurteilen, verurteilen nicht den Antisemitismus rechtsgerichteter europäischer Menschen, sondern haben in der Vergangenheit vielfach diese Form des Antisemitismus toleriert, wenn nicht sogar propagiert. Wer diese Doppelmoral hat, der ist nicht glaubhaft, wenn es um ehrliche Verurteilung des Antisemitismus und der Unterstützung Israels gegen Terrorismus geht. Vielmehr müssen sich diese Personen gefallen lassen, dass man sie hinterfragt und Ihnen andere Ziele unterstellt.
Ebenso in den Social-Media-Portalen zu lesen ist, dass sich diverse Personen über die Rolle und fehlende Berichtserstattungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) beklagen. Sich zu beklagen ist jedermanns gutes Recht und kritische Meinungsfreiheit ein Grundpfeiler der Demokratie. Es kommt immer aber auch auf das „Wie“ an. Der ÖRR muss reformiert werden, woran niemand ernsthaft Zweifel hat. Auch die Definition der Rolle des ÖRR muss überdacht werden. Jedoch wurde zu Israel im ÖRR berichtet und teilweise auch ausführlich, wenn auch nicht durchgängig, wie es auf einigen privaten Nachrichtensendern der Fall war. Letztlich ist der ÖRR aber auch kein reiner Nachrichtensender, sondern hat noch andere Aufträge. Die Wahrheit hier ist also nicht „schwarz-weiß“ und, bei aller berechtigten Kritik am ÖRR, eignet sich der Terror in Israel nicht, um die Diskussion um den ÖRR zu schüren. Auch wenn einige Beiträge, wie von anderen Medienhäusern, politischen Akteuren, Publizisten und Bloggern gleichermaßen, in der Wortwahl an manchen Stellen unglücklich waren, ist die indirekte Unterstellung eine fragwürdige Haltung in der Sache zu haben, Instrumentalisierung.
Besonders stark empfinde ich eine Instrumentalisierung in der gesellschaftlichen Spaltung zwischen sogenannten „Bürgerlichen“, die eigentlich neoliberal rechts stehen, und sogenannter „linker Wokeness“, die für alles andere steht. Hier kommt es zu Darstellungen wie: „Wer sich in der Vergangenheit auch für die berechtigten Interessen der Palästinenser eingesetzt hat, der unterstützt auch den jüngst begangenen Terror der Hamas“ und ähnlich. Solche Zusammenhänge sind Falschdarstellungen. Dieses gilt auch für Aussagen der FFF-Bewegung in solchem Kontext. Der Versuch „nicht bürgerliche Personen oder Gruppierungen“, definiert als solche, die nicht eindeutig neoliberal Denken und zu den Themenfeldern Flüchtlinge und Migration differenzierte Meinungen haben, nun als Sympathisanten der Hamas und Unterstützer des Terrors darzustellen, ist ekelhaft und aufs schärfste zu verurteilen. Hierbei ist festzustellen, dass nicht selten Aussagen bewusst fehl- oder uminterpretiert, aus einem anderen Kontext oder einer anderen Zeit geholt bzw. in anderer Weise instrumentalisiert werden. Dieses mit dem Ziel weiter das Land in Linke und Bürgerliche zu spalten, und erstere als Anti-Demokraten und Gefahr für die Demokratie zu diffamieren, ohne dass dieses irgendeine Substanz hat.
Unter dem Strich gab es bisher auf vielen Ebenen unglückliche und in der Wortwahl fragliche Einlassungen zum Terrorismus der Hamas. Auch sich gar nicht einzulassen, wenn man ein wichtiger Akteur in der Gesellschaft ist, damit meine ich muslimische Verbände, empfinde ich als problematisch. Konkret empfand ich zum Beispiel die Tweets der Generalsekretärin von Amnesty International als in der Wortwahl unangemessen und sehr schlecht gewählt. Dieses trifft auch auf den Kanzleramtsminister zu, der das Geschehen in den Zusammenhang mit einem Fußballspiel des FC St. Pauli bringt. In beiden Beispielen wollten die Akteure etwas anderes bzw. andere Aspekte thematisieren und haben in keiner Weise die Legitimierung des Terrors zum Ausdruck bringen wollen. Wir sollten daher einmal alle durchatmen und uns nicht an jeder unglücklichen Wortwahl und an jedem Schweigen abarbeiten, nur um eine politische Agenda zu befeuern. Besonders sollte dieses für betroffene jüdische Personen in und außerhalb Israels gelten. Hier spielen Ängste um Familie, Angehörigen und Freunde, um das eigene Land und persönliche Erfahrungen mit Terror und Gewalt eine große Rolle, aber auch die verschiedenen Ansätze der Friedensbewegungen in Israel sowie die Kluft zwischen erzkonservativen und modernem Judentum. Wir sollten gerade hier nicht jede Formulierung auf die Goldwaage legen. Die deutliche Mehrzahl der Menschen in Israel, in Palästina und in der ganzen Welt möchte Frieden und ein konfliktloses Zusammenleben, keinen Terror.
Fazit
Wir haben sehr schwierige Zeiten, in denen Hass und Hetze zur Spaltung unseres Landes in Bürgerliche und Linke tagtäglich zunehmen. Diesen Trend sollten wir entgegenwirken und ihn nicht dadurch fördern, dass selbst der Terrorismus in Israel hierfür instrumentalisiert wird. Und noch weniger sollte der Terrorismus in Israel für die generelle Diffamierung von Flüchtlingen und Mitbürgern mit arabischen, persischen oder islamischen Migrationshintergrund instrumentalisiert werden. Die ganz große und deutliche Mehrheit dieser Gruppe, nicht anders als in der Gruppe der sogenannten Bio-Deutschen, steht gegen jede Form von Terrorismus und Gewalt. Wer das, mit dem Ziel rechtes Gedankengut zu propagieren, anders darstellt, der gehört wirklich nicht zu Deutschland!