Ich habe lange überlegt, ob ich zu diesem Thema etwas schreiben soll. Es ist eines der schwierigsten und sensibelsten Themen unserer Zeit. Ein falsches Wort und eine schlechte Formulierung können hier schon sehr viel in eine nicht gewollte Richtung bewirken. Ein Argument für die eine Seite zu nennen, ruft oftmals die andere Seite gegen sich auf den Plan. Ähnlich schwierig empfinde ich die Situation in den Social Media Kanälen. Man muss sehr genau hinsehen, was man teilen kann und welche Position die Autoren eines Textes zum Nahost-Konflikt eigentlich beziehen. Nur all zu leicht gerät man zwischen die Fronten und in die Nähe von Antisemitismus, Israel- oder Palästinafeindlichkeit, ohne dass man eines davon zum Ausdruck bringen wollte.
Sich aus Angst falsches zu sagen ganz aus dem Thema herauszuhalten, kann hingegen auch nicht die Lösung sein. Der Nahostkonflikt, grundsätzlich und gerade im jetzigen Zustand, besorgt mich sehr. Daher will ich mich an diesem schwierigen Thema versuchen.
Antisemitismus und Kritik an Israel
Als Deutsche, vor dem Hintergrund unserer Geschichte, ist es unbestritten, dass uns eine besondere Verantwortung im Umgang mit dem Konflikt zukommt. Meiner persönlichen Meinung nach sind dabei Kritik an der Politik des Staates Israel und Antisemitismus zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Ersteres darf letzteres nicht beinhalten. Und ersteres bedeutet nicht zwangsläufig auch letzteres. Man kann und darf, auch als Deutscher, Kritik an der Politik des israelischen Staates üben. Letzteres hingegen, der Antisemitismus und seine Formen, dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Antisemitismus darf nicht toleriert werden. Kritik an der Politik des israelischen Staates darf keinen Antisemitismus enthalten, schüren oder irgendwie kommunizieren.
Sinngemäß gilt dieses natürlich auch für Rassismus und Palästina. Natürlich darf man Kritik an der Politik Palästinas üben. Diese darf aber nicht rassistisch oder islam-feindlich sein. Auch das sind zweierlei Dinge, die nicht miteinander vermischt werden dürfen. Rassismus und Islam-Feindlichkeit dürfen ebenso keinen Platz in der Gesellschaft haben.
Antisemitismus und Rassismus sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Über die letzten Jahre sind Dinge gesellschaftsfähig geworden, die vorher unsäglich waren. Gleichzeitig steigen antisemitische und rassistische Vorfälle in Quantität und vor allem auch in der schwere der einzelnen Vorfälle. Wenn auch das eine nicht mit dem anderen, Antisemitismus und Rassismus auf der einen Seite und der Nahost-Konflikt auf der anderen, nicht vermischt werden dürfen, so kann man sie nicht ganz losgelöst voneinander betrachten. Denn leider bewirkt eine Intensität des Nahost-Konflikts regelmäßig auch eine Zunahme antisemitischer und rassistischer Vorfälle in Deutschland.
Grundsätzlich und vor diesem Gesamthintergrund um so mehr, vermisse ich ein deutliches Zeichen unserer Regierungsparteien gegen “rechts”. “Rechts” im Sinne von Antisemitismus und Rassismus. Wenn ich sehe, wie in einer Talkshow von Anne Will die Klimaaktivistin Luisa Neubauer über Hans-Georg Maaßen (Mitglied der CDU) sagt, dass sie es bedenklich findet, dass dieser antisemitische Inhalte teilt, und der Vorsitzende der CDU, Armin Laschet, hierzu keine klare gleichlautende Position bezieht, sondern die Tatsache relativiert, dann ist das ein Signal, das den Zug in die falsche Richtung leitet. Es zeigt auch leider deutlich, dass in unsere Politik Gedankengut eingezogen ist, was so schnell wie möglich wieder ausziehen muss. Wir müssen aus unserer Geschichte lernen und eine mögliche Wiederholung der Geschichte in jedem kleinen Keim ersticken.
Krieg im Heiligen Land
Der Nahost-Konflikt ist älter als ich. Die Intensität hat über die Jahre mal ab und mal zu genommen. Am Konflikt selbst hat das aber wenig geändert. Es wurde keine Lösung gefunden, und es ist auch keine Lösung in Sicht. Simon Perez, der einstige Friedensnobelpreisträger, hatte einmal gesagt: “Wir sind zum Frieden verdammt!” Was er damit meinte ist, dass ein Frieden die einzige Lösung des Konflikts ist. Wenn es über die Jahre auch immer wieder Schritte in diese Richtung gab, so ist man doch diesem Ziel nie wirklich nahe gekommen.
Es leben zwei Völker in einem Land, welches beide für sich beanspruchen. Für beide Kulturen hat Jerusalem als Hauptstadt eine große Bedeutung. In jedem der zwei Völker gibt es zahlreiche radikale Kräfte, die am Konflikt mehr als am Kompromiss interessiert sind und zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Ein gleichrangiges Miteinander ist eine Utopie. Israel ist militärisch und technologisch überlegen, Palästina in diesem Sinne deutlich unterlegen. Macht und Ohnmacht treffen aufeinander, und für die einfachen Menschen auf beiden Seiten bringen sie Angst, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Man kann zahlreiche Details analysieren, aber eigentlich muss man mehr nicht dazu sagen. Das allein reicht, um die Aussichtlosigkeit einer Lösung dargelegt zu haben.
In diesem Sinne bringt es meines Erachtens auch nichts darüber zu diskutieren, wer bei einem erneuten Ausbrauch von Gewalt mehr Schuld trägt. Noch viel weniger bringt es die Toten auf beiden Seiten zu zählen und gegeneinander aufzurechnen. Jeder Tote ist ein Toter zu viel, jedes tote Kind mehr als nur eines zu viel. Doch was kann man tun, um konstruktiv in den Konflikt einzugreifen? Was sind Perspektiven, wenn es offensichtlich keine Perspektiven gibt?
Konflikt ohne Lösung
Die Ernüchterung, wenn es um sinnvolle Lösungsansätze geht, habe nicht nur ich. Auch die internationale Politik ist ratlos. Man versucht die Gewalt zu beruhigen. Letztlich ist das aber nur ein Spiel auf Zeit. Die Gewalt bricht wieder und wieder aus. Es wird so lange so weiter gehen, wie die Ursachen für den Konflikt existieren. Und die Ursachen sind auf absehbare Zeit nicht zu verändern, um die traurige Realität auszusprechen.
Das führt zu dem Punkt, der mir persönlich große Sorge macht: Wenn es keine friedliche Lösung gibt, so wird es früher oder später eine kriegerische Lösung geben. Diese kann zu einem Flächenbrand in der Region oder sogar darüber hinaus führen. Der Bevölkerung von ca. 9,5 Millionen Israelis stehen nur halb so viele Palästinenser gegenüber. Aber Israel ist zusätzlich von Feinden umgeben. Hochgerüstet oder nicht, hat Israel die Jahre vor allem deswegen überstanden, weil die Türkei, Syrien, der Libanon, Iran, Irak, Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten untereinander zerstritten oder instabile Staaten waren. Was, wenn sich dieses einmal ändert?
Israels Existenz, sagen wir es offen und ehrlich, ist in der türkischen, arabischen und persischen Welt alles andere als gewünscht. Wenn es manche der Staaten auch anders nach außen kommunizieren, so wird keiner Israel, wenn es darauf ankommt, verteidigen, sondern alle werden das Gegenteil tun. Das ist eine heikle Lage für Israel. Umso heikler, als dass die Armeen der Türkei, Saudi-Arabiens und des Iran in Größe und Ausstattung nicht mehr mit denen der Nahost-Kriege von vor 50 Jahren vergleichbar sind.
Vor allem geht es den anderen Akteuren der Region aber unter dem Strich noch um viel mehr als nur um Israel und Palästina. Die Türkei hat Phantasien eines Auflebens des Osmanischen Reiches. Mann will die Vorherrschaft in der Levante und dem Nahen Osten gewinnen. Daneben bestehen ähnliche Interessen des Irans. Man denkt hier zwar nicht unbedingt in Richtung einer Neuauflage eines persischen Großreiches im Nahen Osten. Man steht aber vor einem Sicherheitsdilemma und will den schiitischen Halbmond erhalten, um sich gegen die Türkei und die arabische Welt abzusichern. In Riad denkt man auch in den Kategorien eigner Machtinteressen als Beschützer des sunnitischen Islam und will weder eine starke Türkei noch einen starken Iran. Dabei ist Israel allen ein Dorn im Auge, und wenn nicht das, so doch zu mindestens gleichgültig und ein geeignetes Propagandamittel für innenpolitische Kampagnen. Hinzu kommen noch die USA, Russland und China, die ihre eigene Suppe globaler Einflussnahme kochen und im Sinne eines Stellvertreterkriegs im Nahen Osten präsent sind.
Hass und Hetze
Das Ergebnis des derzeitigen Geschehens sind Hass und Hetze gegen Israel in der türkischen, der arabischen und der persischen Welt. Dieses trägt sich auch nach Europa und den Rest der Welt. Damit will ich nicht ausdrücken, dass man nicht berechtigte Kritik an israelischer Politik üben darf und Israel keine Fehler macht. Das will ich keineswegs sagen. Beide Seiten machen Fehler und beide Seiten dürfen kritisiert werden. Sie müssen es sogar. Zwischen Kritik üben und dem Aufhetzten einer Bevölkerungen liegt aber ein deutlicher Unterschied. Dieses unabhängig davon, für oder gegen welche Seite man sich positioniert. Aufhetzen ist immer falsch.
Es ist dieses Aufhetzen, was mir sehr große Sorge macht. Hass ist keine Lösung und kann sehr schnell außer Kontrolle geraten. Wenn man sich in der Türkei verschätzt und die Hetze gegen Israel zu einer Dynamik führt, die nicht mehr zu kontrollieren ist, stehen wir vor mehr als nur einen regionalem Konflikt. Ich kann mir keine deutschen Soldaten im Heiligen Land vorstellen, die Israel gegen einen NATO-Partner verteidigen. Das Szenario ist surreal. Ich wüsste auch nicht, wie die Rolle der USA hierbei aussehen sollte. Ich kann mir, zur Verteidigung Israels, aber auch keinen Krieg des Westens gegen den Iran vorstellen. Auch das würde zu einer Dynamik in der Welt führen, die mehr als beängstigend wäre. Ähnliches gilt für die anderen Länder der Region. Das Existenzrecht Israels darf dagegen natürlich nicht in Frage gestellt werden und muss, wenn es erforderlich wird, von der westlichen Welt verteidigt werden. Wie das dann aber tatsächlich erfolgen könnte, entbehrt sich bei mir jeder Vorstellung. Ich wüsste nicht, wie die westliche Welt militärisch einschreiten könnte, ohne dass es einen großen weltweiten Konflikt gäbe und der ganze nahe Osten in Flammen aufgeht. Das Szenario, wo keiner einschreitet und die Dinge ihrem Lauf nehmen, ist hingegen eine Vorstellung, die man ebenso nicht denken will, und das Ergebnis, gleich welches, wäre fatal.
Fazit
Die Situation ist hoch komplex und äußerst brisant. Es geht im Nahen Osten um viel mehr als nur um ein friedliches Miteinander von Israel und Palästina. Es geht um die geopolitischen Interessen sehr vieler Akteure. Israel und Palästina können schnell zum Spielball anderer Mächte werden. Sie können aber auch einer außer Kontrolle geratenen Dynamik in der türkischen, arabischen oder persischen Welt erliegen. Wir sehen einen Konflikt, der keine friedliche Lösung in Aussicht hat. Kommt es zur kriegerischen Lösung, dann wird die ganze Welt hineingezogen werden. Ein Szenario, dass sich niemand wünscht, das aber leider nicht gänzlich unwahrscheinlich ist.
Zu hoffen, dass die Situation mehr oder minder gewaltsam, aber ohne einen großen Krieg, vor sich hin dümpelt bis ein Wunder geschieht, ist ebenso keine Lösung. Wunder kommen nicht. Es wird nur Dümpeln bis sich die Machtverhältnisse im Nahen Osten so verlagert haben, dass ein Akteur in der Position ist, eine finale militärische Lösung herbeizuführen. Das kann schnell passieren oder noch Jahrzehnte dauern. Bis dahin leben die Bewohner des Gebietes, Palästinenser und Israelis, in Perspektivlosigkeit und Angst. Auch dieses Szenario ist keine Lösung und eine Bankrotterklärung an die internationale Politik Konflikte in der Welt lösen zu können.
So kann dieser Artikel, wie jeder zu diesem Konflikt, am Ende nur ohne viel Hoffnung bangen Blickes der Dinge harren, die da kommen werden.
Ich habe zu diesem Artikel, wie zu keinem anderen, viel Feedback bekommen, um es einmal neutral zu formulieren. Darunter waren die verschiedensten Ansichten und sehr häufig die Kritik, dass ich nicht mutig genug war manche Dinge direkt auszusprechen. Ich stimme dieser Kritik zu und sehe es selbst auch so. Ich war nicht mutig genug Dinge offen zu schreiben, die mich in einen Konflikt mit der einen oder anderen Seite hätten katapultieren können. Andererseits ist es eine komplexe Thematik, in der alles mit allem verknüpft ist und es kein “schwarz und weiß” gibt. Es führt niemanden weiter die gegenseitigen Verbrechen aufzuzählen und darüber zu diskutieren, welche Seite die schlimmere ist. Auch wenn derzeit das Heilige Land nicht in den Nachrichten erscheint, haben wir dort keinen Frieden, keine Sicherheit und keine Perspektiven für die Menschen. Für alle Menschen, wobei Furcht individuell ist, der eine sie stärker und der andere schwächer empfindet. Jedoch lebt die Furcht vor Krieg und vor einer ungewissen Zukunft auf allen Seiten. Auf israelischer Seite mag diese Furcht geringer erscheinen, weil man dort reicher und freier ist. Natürlich ist der ökonomische Unterschied hier außerordentlich und ein Problem, das vieles verschlimmert. Aber unter dem Strich sind beide Seiten in einem Zirkel von radikalen religiösen und kulturellen sowie weltpolitischen Machtinteressen gefangen, der jederzeit explodieren kann und von dem niemand weiß, welche Seite dann hinweg gefegt wird. Für die Menschen beider Seiten ist das eine große Belastung und viele leben jeden Tag als wäre es ihr letzter, ohne ein morgen zu planen. Verbesserung der Situation zu erwarten, etwas was Hoffnung für die Zukunft bringen könnte, gibt es schlichtweg realistisch nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es, aber die Hoffnung ist im Heiligen Land schon lange gestorben.